Die Bayerische Volkserhebung von 1705/06 und die Auswirkungen auf das Kloster Aldersbach
Vorbemerkungen und Transkription von Robert Klugseder

Der Spanische Erbfolgekrieg beeinflusste auf vielfältige Weise das Kloster Aldersbach. Abgesehen von den Beeinträchtigungen durch die Kriegshandlungen im direkten Umfeld des Klosters und auf die Untertanen, starben beim Volksaufstand auch zahlreiche Angehörige der Klosterpfarreien, allen voran natürlich in dem von der „Bauernschlacht“ besonders heimgesuchten Tödling (Egglham). Dort hatten sich flüchtende Bauern im zum Kloster gehörenden Pfarrhof verschanzt, worauf die "Kaiserlichen" das Gebäude in Brand setzten. Nach der "Schlacht von Aidenbach" am 08.01.1706 war Aldersbach für zwei Tage auch ein Hauptquartier der hier lagernden österreichischen Truppen.
Für das Zisterzienserstift stellten die Kriegshandlungen natürlich auch eine moralische Herausforderung dar: Einerseits brachten die fast ausschließlich nicht-adeligen Konventualen mit bayerischen Wurzeln der aufständischen Landbevölkerung durchaus Verständnis entgegen. Andererseits war das Stift als Wirtschaftsunternehmen existentiell von den Einnahmen aus den umfangreichen Besitzungen in Österreich abhängig. Eine Beeinträchtigung des an sich guten Verhältnisses zum Habsburger Kaiserhaus war somit auf jeden Fall zu vermeiden. Eine Parteinahme für die Volkserhebung hätte mit Sicherheit zu Enteignungen und damit zu einem immensen wirtschaftlichen Schaden geführt. Von diesem Dilemma besonders betroffen waren natürlich auch die vielen Mönchspriester, die in den Klosterpfarreien als Vikare und Kapläne tätig waren. Die kaiserliche Regierung in München nahm dennoch Einfluss auf die Klosterleitung und mitverursachte im Jahr 1705 die Resignation Abt Engelbert Vischers sowie die verspätete Anerkennung seines Nachfolgers Theobald I. Grad. Auch der im Jahr 1700 begonnene Neubau der Konventgebäude verzögerte sich durch die Kriegswirren und die Besetzung Bayerns deutlich. Die unter Abt Vischer einsetzende barocke Blütezeit des Klosters wurde in diesen Jahren jäh unterbrochen.
Wenn man die verschiedenen Berichte über die Geschehnisse rund um die Volkserhebung betrachtet, werden sehr unterschiedliche Interpretationen erkennbar. Eine eher bayerisch-patriotische Sichtweise bietet der Chronist Joseph Pamler in seiner im Jahr 1859 im Druck erschienen Beschreibung der „Aidenbacher Bauernschlacht“. Diese beruht nicht immer auf historischen Quellen (v.a. Pfarrmatriken), häufig bezieht sich Pamler jedoch auf Hörensagen und schmückt die Geschehnisse dramatisch aus. Verlässlich scheinen hingegen Pamlers Zusammenstellungen von in den Nachbarpfarreien bestatteten „Bauernkämpfern“ zu sein, die auf Eintragungen in Sterbematriken basieren. Einen Eindruck von der Sichtweise der Geschehnisse der siegreichen Habsburger vermitteln zeitgenössische Berichte und Verlautbarungen, die in der Zeitschrift „Wiennerisches Diarium“ veröffentlich wurden. Nachfolgender Bericht bietet eine kurze Zusammenfassung beider Traditionen, zudem stehen die Originaltexte als Transkriptionen zur Verfügung. Ein Bittschreiben zur Wahlanerkennung Abt Theobald I. Grad an Kaiser Joseph I. verdeutlichet zudem die unsichere Lage, in der sich das Kloster in der Zeit des Volksaufstandes befand.
Zuvor soll jedoch Altabt Engelbert Vischer zu Wort kommen, der nach seiner Resignation 1705 in Sammarei wirkte und wenige Monate nach der Schlacht bei Aidenbach darüber berichtet:
Noch nicht gar ein halbes Jahr ist verflossen / als diß geschrieben / daß nicht wenig / sondern über zwanzig augenscheinlich dergleichen Hülffe [der Jungfrau Maria in Sammarei] auf einen Tag empfangen / nehmlich in dem leyder allbekannten blutigen Treffen / so zwischen der Kayserlichen Soldatesca, und der zusamm gerotteten Bauren-Bursch bey Aidenbach und Peitlspach den 8. Tag Januarii lauffenden Jahrs vorbey gangen. Nach diesem Treffen seyn bey 30. verheyrath= und unverheyrate anhero kommen / haben Lob=Messen lesen lassen / und hoch betheuret / daß sie durch Hülff und Fürbitt der Mutter Gottes zu Sammarey / zu dero sie sich in ihrer so nahen Lebens=Gefahr verlobt / solcher entrinnen und bey Leben erhalten worden/ da doch über 2000 (sic!) ihr Leben durch Feuer und Schwerd jämmerlich eingebüsset. Ihrer etliche haben sich in Angesicht der nacheylenden hitzigen Soldaten auf Bäume retirirt, andere sich unter Poschen und Stauden verstecket / noch andere in die Häuser und Städl geflohen / und auff solche Weise errettet worden / da doch vor / hinter / und neben ihnen viel erschossen und niedergehaut / von den Bäumen / unter den Puschen herfür gesucht und jämmerlich massacrirt worden. So seyn auch einige schon von ihren Feinden gefangen gewest / als sie sich aber mit hl. Messen und Opfern hieher versprochen / wunderbarlich aus ihren Händen entkommen; es seyn auch etliche auf geschehenes Gelübd vor Brand und Plinderung gnädiglich behüttet worden. Welche alle mit Umständen konnten nahmhafft gemacht werden / so doch geliebter Kürtze halber unterwegen bleibt.
Die „Wiener Zeitung“ wurde 1703 als „Wiennerisches Diarium“ (WD) gegründet. Damit handelt es sich um die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Seit kurzem stehen Digitalisate der Zeitschrift online zur Verfügung ( Österreichische Nationalbibliothek ANNO). Die Ausgaben vom Dezember 1705 und Januar 1706 enthalten viele Hinweise auf die Bayerische Volkserhebung. Das Diarium war kein neutrales Medium. In der österreichischen Monarchie hatte es die Ansichten des Hofes zu vertreten. Da die Überlieferung in Bayern natürlich auch sehr patriotisch geprägt ist, wird man die Wahrheit oft in der Mitte suchen müssen.
Nach der für Bayern verheerenden Niederlage gegen die Österreicher und Engländer bei der Schlacht von Höchstädt am 13.08.1704 wurde Kurfürst Maximilian II. Emanuel seines Landes verwiesen. Als Exilant führte er unter dem Schutz der Franzosen ein luxuriöses Leben in Brüssel. Bayern allerdings wurde von Österreich besetzt. Unter Kaiser Joseph I. nahmen die Repressionen eine vorher nicht bekannte Härte an, die vor allem das einfache Landvolk trafen: Neben einer immensen Steuerlast wurden ab dem Herbst 1705 Zwangsrekrutierungen durchgeführt. Nachdem in den Jahren zuvor schon ein großer Teil der kriegstauglichen Männer in die bayerische Armee eingezogen worden und auch gefallen war, sollten die Übriggebliebenen in die feindliche, kaiserliche Armee eintreten. Allgemein werden diese Repressalien als Auslöser der Bayerischen Volkserhebung angesehen. Zentrum des Aufstands waren Burghausen und das damals noch bayerische Braunau. Die Aufständischen konnten für kurze Zeit auch andere Städte zurückerobern. Es musste jedoch von Anfang an klar sein, dass die schlecht ausgebildeten und noch schlechter bewaffneten Freiheitskämpfer gegen eine hochgerüstete, professionelle Armee nicht siegreich sein können. Zudem verurteilte selbst der Kurfürst das Aufbegehren der Bauern. Unmittelbar nach der sog. „Bauernschlacht bei Aidenbach“ war der Aufstand im Wesentlichen niedergeschlagen. Die kaiserliche Administration in Bayern unter Maximilian Karl Graf zu Löwenstein-Wertheim-Rochefort wählte in der Folge einen moderateren Kurs. Die Zwangsrekrutierungen wurden eingestellt und die Steuerforderungen gesenkt, so dass sich Bayern in den noch folgenden neun Jahren unter kaiserlicher Herrschaft in bescheidenem Maße erholen konnte. Anschließend nun die Exzerpte aus dem Diarium. Diese vermitteln einen Eindruck auf die Situation am Vorabend des Schlachtens bei Aidenbach. Besonders die kaiserlichen Erlasse verdeutlichen die Härte, mit der gegen die Aufständischen und deren Familien vorgegangen wurde.
Edikt Kaiser Josephs I. vom 19.12.1705
Also befehlen Wir allen und jeden unserer Gottmässigkeit unterworffenen Gerichtern, Hoffmarcken und Unterthanen der bayrischen Landen hiermit gnädigist, und wollen, daß von allemsambt, die sich in Waffen und zusammen rottiert befinden, alsobalden und ohne allen Verzug ein jeder Sohn oder Knecht nach seinem häußlichen [An-]Wesen, wo er gebürtig, wohnhaft oder in Diensten stehet, sich [zu] begeben [hat]. Das Gewöhr seiner vorgesetzten Obrigkeit und Beambten einliffern und sich von aller Feindseeligkeit enthalten soll und in Ruhestand, wie es einem getreuen Unterthan und Lands-Inwohner gebühret, leben solle“. Andernfalls sollten „diejenige Dörffer, Höffe und Häuser, wo die Bauerschafft sich abwesend befindet, ohne alle Gnad und Bedencken verbrennet und in die Aschen geleget werden. Die Mannschaften aber, so in Wöhr und Waffen verbleiben und darin ertappet werden, wird, als Rebellen angesehen, mit Galgen und Schwerdt, Vertreibung ihrer Weib und Kinder, auch mit Hinwegnehmung ihrer Haab und Güter, gestrafft.“ Der Kaiser scheute auch nicht davor zurück, die bayerische Landbevölkerung gegeneinander aufzuhetzen und zum Verrat aufzurufen: „Die hinweggenommenen Güter alsdann denen, so in der Ruhe und schuldigen Treu verbliben, zugeeignet werden sollen.“ Auch wenn sich nur der Sohn des Hofes, nicht aber der Vater, an den Aufständen beteiligte, wurde ebenso hart durchgegriffen: Dass die „Eltern der Straff des Brands und Plünderung“ ebenso schuldig werden, „als wann sie selbsten dabey wären“. Die Häupter und Anführer der Rebellion wurden vogelfrei erklärt. Das bedeutete, dass jeder, der „einen oder mehr todt oder lebendig einliffern wird, an seinem Todt nicht nur nicht gefrevelt haben, sondern … belohnet werden solle“.
Urteil Kaiser Josephs I. vom 20.12.1705 über die Rückeroberung Kelheims durch bayerische Aufständische am 13.12.1705
End=Urtheil, so den 20. December, 1705. abgefasst worden, für die Rebellische zusamben gerottete Bauern=Bursch, welche bey Uberfallung der Stadt Kellheimb, Mit= und beygewest, Hand angelegt, zur Garnison eingezogen, und anjetzo bey wider Eroberung gefangen worden; nichtweniger für die dasige rebellische Burger, so sich zu obbesagter rebellischen Bauern-Bursch gesellet, und sich gegen die kayserlichen Truppen Feindlich auffgeführt.“ Die aufständischen Bauern und auch einige Bürger konnten Kelheim für kurze Zeit zurückerobern. Schlussendlich viel die Stadt wieder an die Österreicher. Die Überlebenden wurden in Folge hart bestraft. Die bayerischen Untertanen haben die „kayserliche Majestät und allerhöchste Person, die ihnen von Gott dem Allmächtigen als Ober=Haupt und Landes=Herrn vorgesetzt“ wurde, beleidigt. „Also haben Wir für diese Ubelthätter folgendes End=Urtheil abfassen lassen; Beselchen hiermit allergnädigst solches ihnen Delinquenten [Angeklagten] zu wohlverdienter Straff, andern aber zum greulichen Exempel und Abscheuhen nach dem buchstablichen Innhalt ohne weithern Anstand zu exequiren [auszuführen]“. Den Gefangenen wurde der Tod durch den Strang angekündigt. „Gnädiger Weise“ wurde jedoch nur jeder Fünfzehnte der Bauern hingerichtet. Von den beteiligten Bürgern „doch nicht der 15te sondern der 10te oder, wann deren nicht so viel, der 5te aufzuhencken“ ist. Man spielte mit den Verurteilten „15 zu 15, mithin jener, auff deme das wenigste Loß fallet, mit dem Strang, im Angesicht der andern, hingerichtet“ werde. Die Anführer der Rebellen sowie ehemalige bayerische und desertierende Soldaten der österreichischen Truppen wurden hingegen ausnahmslos erhängt. Die Übriggebliebenen wurden untersucht und „auß selben die jenige, so zu Kriegs-Diensten tauglich, herauszunehmen und bis auff weithere Verordnung in gefänglichen Verhafft nach Ingollstadt zu überliffern“. Sie wurden später in die österreichische Armee zwangsrekrutiert und waren so unter Umständen gezwungen, gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen. Einem der bayerischen Anführer wurde eine makabre Sonderbehandlung zu Teil: „Der Metzger Krauß, der Haupt-Rädlsführer, welcher denen Rechten gemäß auch in schwäre Straff verfallen. Diser aber dermahlen nicht zu verhafft kommen [konnte nicht verhaftet werden], und nicht wissend ist, ob nicht selber bey Occupirung der Stadt massacrirt worden oder in der Flucht in der Altmühl ertruncken. Also wollen Wir, falls sein Cörper gefunden werde, daß selber in Loco [vor Ort] geviertheilt und in allen 4 Rend-Aembtern ein Theil davon an denen gewöhnlichen Orthen durch den Schaffrichter auffgehenckt“ werde. Falls Krauß nicht gefunden werden kann, soll sein Haus und Hof niedergerissen, dem Erdboden gleichgemacht und darauf ein Galgen errichtet werden. Tatsächlich wurde Matthias Kraus (geb. 1671) bereits drei Tage nach der Rückeroberung Kelheims durch die Österreicher am 21.12.1705 verhaftet. Von der Hinrichtung berichtet der „Monatliche Staatsspiegel“ vom März 1706: Kraus wurde geköpft, dann gevierteilt und die Viertel an den Stadttoren aufgehängt, der Kopf aber auf einer Stange am Stadtplatz aufgestellt.
Ein entscheidendes Ereignis waren die Auseinandersetzungen der sog. „Sendlinger Mordweihnacht“ am 25.12.1705 bei München. Das Diarium vom 30.12.1705 schildert hier sehr ausführlich das grausame Niedermetzeln der Landesverteidiger, die überwiegend mit „Sensen, Gabeln, Prügeln und solcherley Bauern-Gewöhr bewaffnet“ waren. Als Rechtfertigung für das bestialische Morden durch die österreichische Soldateska wird angeführt, dass „der in diesen Winters=Zeiten wegen dieses Auffstands hart strappazirte und deswegen über das Bauern=Volck sehr ergrimmte Soldat fast nicht abzuhalten war, alles nidergemacht [hat] biß auf 400 meistens elendig Verwundete. So als Gefangene in hiesige Stadt [München] gebracht und zum abscheulichen Exempel der Untreu vor Augen gestellet worden. Die Zahl der Todten, Verwundt und Gefangenen [werden] gegen vierdthalb Tausend gerechnet.“
Am 28.12.1705 verlegte Oberst Baron d'Arnan 1400 Mann eines Grenadier-Bataillons und die Besatzungskräfte von Straubing zur Burg Hilgartsberg, die von den Österreichern besetzt war. Hier setzten die Truppen „eine Viertel-Stund oberhalb der Stadt“ Vilshofen über die Donau und formierten sich dort zur Schlachtordnung. „Da dann gleich die ausgeschickte Husaren einen Bauern-Knecht gefangen eingebracht, welcher ebenmässig die vorerwehnte Stärke von 400 rebellische Bauern der Besatzung halber bekräfftiget, nebst der Versicherung, daß auch noch in der Stadt keine Wissenschafft von diesen kayserlichen Truppen wäre. Worauff der Herr Obrist mit einem Theil von Grenadiers und Fussliers [mit einem Gewehr bewaffnete Infanteristen] ohnweit des Capuciner-Closter und etwann einen Flinten-Schuß weit von dem“ barrikadierten Stadttor entfernt Posten bezogen hatten. Der Oberst „habe den Pater Guardian sambt noch einen Capuciner in die Stadt geschickt, mit der Bedeutung, falls sie dieselbe gutwillig übergeben wollten, sie von ihme einen guten Accord [Behandlung] würden zu hoffen haben. Da aber der Geistliche nicht wider zurückkommen, habe der Herr Obrist 40 Grenadiers gegen die Pallisaden [Barrikaden] anlauffen lassen, auff welche zwar die rebellische Bauern Feuer gegeben. Als jene aber einige Grenaden über die Pallisaden geworffen, hätten sie sich zurück in die Stadt retirirt und die Fall-Brücke hinter sich aufflanffen lassen. Worauf dann die Grenadiers über die Pallisaden, Schlag-Baum und Gattern eingedrungen. Und da sie die Fall-Brücken entzwey zu hauen angefangen, hätten sich die Rebellen zum Viltzer [Vils]-Thor hinauß gemacht, mithin die Flucht genommen. Als nun diese auß der Stadt durchgegangen, hätten die Burger Appell geschlagen und wären nebst dem Burger-Meister und Rath an das Thor gekommen, umb Verschonung zu bitten, da sie gut Kayserlich seyen.“ Oberst Arnan entsprach der Bitte nach Verschonung der Stadt. Die Vilshofener öffneten die Tore, woraufhin 200 österreichische Grenadiere den Ort besetzten. Das restlichen Truppen lagerten in der Oberen Vorstadt.
Bericht vom 03.01.1706
Von dem Donau-Strohm vom 3. Jenner. Daß die Bayrische Land-Stände den kayserlichen Principal-Commissarium zu Regenspurg, Ihro hochfürstliche Eminenz Herrn Cardinal von Lamberg, durch ein Schreiben gebührend ersuchet, erstlich der in Bayern unter ihr Bistumb gehörigen Geistlichkeit zu befehlen, daß selbige die Unterthanen von der Rebellion abmahnen möchte. Andertens, daß die Güte nochmahlen versuchet, und fernerem Blut-Vergiessen vorgekommen würde. Drittens und letztens, daß der bayrische Adel sich gern in dasige Stadt und nachher nach Passau retiriren möchte, umb bey Anruckung deren aliirten Truppen sicher seyn.“
Dieser kurze Bericht macht deutlich, wie Österreich nicht nur am Schlachtfeld sondern auch im Bereich der psychologischen Kriegsführung weit überlegen war. Die Habsburger verstanden es, die bayerische Gesellschaft zu spalten. In der Landbevölkerung wurden Sympathisanten, Spitzel und Überläufer belohnt. Den Adel bevorzugte man und bot ihm zudem Zuflucht in der freien Reichsstadt Regensburg, die direkt dem Kaiser unterstand, und in der Habsburg-freundlichen Passauer Bischofsstadt an. Der gebürtige Österreicher Kardinal Johann Philipp von Lamberg war zu dieser Zeit Fürstbischof von Passau und zugleich kaiserlicher Prinzipalkommissar am Immerwährenden Reichstag zu Regensburg. Lamberg wurde angehalten, die Priester im bayerischen Teil seiner Diözese „auf kaiserliche Linie“ zu bringen. Die Pfarrer wiederum sollten dafür sorgen, dass ihre Pfarrangehörigen der Verschwörung gegen den Kaiser absagten. Aber auch der Klerus war tief gespalten. So lassen sich in den Sterbebüchern von Aidenbach und Beutelsbach zwei völlig konträre Haltungen der Ortsgeistlichen erkennen: Der Aidenbacher Pfarrer, ein Augustinerchorherr aus dem bayerischen Kloster St. Nikola, ehrt die Gefallenen des Gemetzels bei Aidenbach als heldenhafte Landesverteidiger. Der gebürtige Passauer Alfons Schönbucher (1673-1717), Pfarrer von Beutelsbach und Zisterziensermönch von Fürstenzell, charakterisiert die Aufständischen folgendermaßen:
Nach dem sich daß Landvolkh auch andere abgedankhte Soldaten, Schreiber, auch von unterschidlichen Stödten, haußgesessene Burger, absonderlich aber die Bauern bey 7000 Mann zwischen Aidenbach, Tödtling, und Peitlspach zusammen gerothet und sich für Landbeschützer außgeben; welches aber irger mit Blindern, Rauben und Stehlen, alß der Feinden selbsten gehauset. Forderist die Gschlösßer [Schlösser], Herrschafften, Pfarrhöff und Clöster gwalthättiger Weiß angegriffen, welche alle Nahrungsmittln haben schaffen müessen, in Wüllens die Statt Vilßhoven zu behaupten. Aber ihr plumppes Vornehmen ist zu Wasser worden.
Wenn man bedenkt, dass die bayerischen Diözesen und Klöster umfangreiche und gewinnbringende Besitzungen in Österreich hatten, die sie nicht verlieren wollten, kann man die unterwürfige Haltung vieler Geistlicher gegenüber den Habsburgern verstehen.
Die Bayerische Volkserhebung und der Komponist Johann Joseph Fux
Wie in vorausgehenden Ausführungen geschildert, litt vor allem die Landbevölkerung außerordentlich unter den Repressalien der österreichischen Besatzer. Adel und Kirche verstanden es hingegen, sich mit den Habsburgern zu arrangieren. Neben der Beschreibung der Auseinandersetzungen in Aidenbach, Beutelsbach und Tödling aus Sicht der Wiener Presse sollen die vier Monate zuvor stattgefundenen, völlig konträren Siegesfeierlichkeiten in Wien nicht unerwähnt bleiben.
Der bedeutende österreichische Barockkomponist Johann Joseph Fux (1660-1741), der auch am Wiener Hof tätig war, schuf einige Hundert Werke. Ich wurde mit der Edition eines „Te Deum“ beauftragt, dass Fux im Jahr 1704 komponierte. Diese zuerst ansprechende Aufgabe entwickelte sich durch weitergehende Recherchen allerdings als Herausforderung. Ausgerechnet ich als Aidenbacher, der am Fuß des Handlbergs, also direkt am Schlachtfeld der Auseinandersetzungen von 1706, aufgewachsen ist, musste herausfinden, dass das feierliche Gotteslob zur Feier des Sieges der Österreicher über die Bayern bei der zweiten Schlacht von Höchstädt komponiert wurde. In diesem Zusammenhang bin ich im „Wiener Diarium“ (WD) auch auf die Beschreibung des „Schlachtens“ bei Aidenbach gestoßen. Das WD berichtet „von einem großen Victori [Sieg], dergleichen in 100 Jahren nicht gehört worden“. Es wurde eine Festwoche veranstaltet, die am Sonntag, den 17. August mit einem durch die Tiroler Landsmannschaft mit einem Dankgottesdienst in der Kirche der Wiener Serviten begann. Durch kaiserlichen Befehl hatten die Feierlichkeiten auch in allen Erblanden und Königreichen der Habsburger stattzufinden. Den Höhepunkt bildete ein Gottesdienst im Wiener Stephansdom, bei dem das „Te Deum“ von Fux uraufgeführt worden war: „Heute wurde allhier in der St. Stephans Dumb-Kirchen das TE DEUM Laudamus, wegen der bey Höchstätt unter heldenmüthiger Anführung des kayserlichen General-Feld-Marschallen Printzen Eugeni von Savoyen, und des Englischen Milord Duc de Marlboroug, von denen kayserlichen hohen Aliirten über die Frantzosen und Bayern erhaltenen herrlichen Victori, in allerhöchster Gegenwart gesambter kayser- und königlichen Majestäten und Begleitung des Herrn Cardinals von Lamberg [Bischof von Passau!] hochfürstlichen Eminentz, wie auch des Venetianischen Pottschaffters und vieler anderen sowohl einheim- als ausländischen Ministern, mit einer schönen Lob- und Dank-Predigt sodann mit dem Ambrosiansichen Lob-Gesang [Te Deum] und hohem Ambt [Messe] unter einer herrlichen Music, wie auch Trompeten- und Paucken-Schall, nicht weniger 2maliger Lösung des Gewehrs von der auff dem Stephans-Freyt-Hof gestandenen Stadt-Garde und aller Stucken [Geschütze] auff das herrlichste begangen“.
Schockierend ist hingegen die sehr detaillierte Beschreibung der sog. „Aidenbacher Bauernschlacht“ im WD vom 16.01.1706. Die verlorenen Kämpfe besiegelten endgültig die Niederlage Bayerns. Der Artikel trägt den Titel: „Ausführlicher Bericht uber die bey dem Marckt Aidenbach den 8. Jenner 1706 vorgegangene Niederlag deren rebellischen Unterthanen in Bayerland“. General-Feldmarschall Baron Georg Friedrich von Kriechbaum, erfolgreicher Befehlshaber bei der sog. „Sendlinger Mordweihnacht“, zog am 01.01.1706 mit den kaiserlichen und fränkischen Truppen von München nach Eggenfelden. Am 07.01. begann der Weitermarsch in Richtung Vilshofen, um die zuvor von Oberst Baron d'Arnan befehligten Truppen, die bei Vilshofen stationiert waren, zu unterstützen. Nach der Flucht der Aufständischen aus Vilshofen konnten sich diese bei Aidenbach neuformieren und um weitere Kämpfer verstärken. Über den neuen Standort bei Aidenbach und die Truppenstärke wurde Kriechbaum durch einen gefangengenommenen und in der Folge gefolterten bayerischen Spion informiert. Daraufhin setzten sich die österreichischen und fränkischen Truppen sofort in Bewegung und gelangten über das [heute nicht mehr erhaltene] Schloss Guteneck nach Dummeldorf [bei Johanniskirchen], wo sie am Tag vor der Schlacht ihr Nachtlager aufschlugen. Am Morgen des nächsten Tages (Freitag, 8.1.) brach man in Richtung Aidenbach auf. „Unter Weegs aber bey dem Schloß Haidenburg“ Station machte, da die Vortruppen berichteten, dass „der Feind in vollem Hauffen theils in- und theils bey Aidenbach stehe“. Man wartete hier mit der Reiterei solange, bis die Fußtruppen, die Munitionswägen und Geschütze nachgerückt waren und begann dann in Schlachtordnung den Angriff auf Aidenbach. Gleichzeitig marschierten 1600 Mann und 120 Pferde der kaiserlichen und Ansbachischen Truppen von Vilshofen kommend auf den Markt zu. Die Truppen Kriechbaums wurden durch die Überquerung des Aldersbachs aufgehalten. Die Landesverteidiger gewannen dadurch Zeit und konnten „sich auff ein hohes Feld vor dem Wald“ in strategisch besserer Lage positionieren. Kriechbaum führte seine Truppen durch den Markt und über sehr bergige Felder „biß ungefehr 200 Schritt an den gantz vortheilhafftig gestandenen, der Kundschaft nach bey 7000 Mann starken Feind“ heran. Die Hoffnung der Österreicher, „eine handhaffte Gegenwehr zu bekommen“, zerschlug sich jedoch:
Ehe man die Höhe gar ersteigen können,“ haben sich die Rebellen „gleichsam in einem Augenblick, ohne Machung des geringsten Feuers, in den hinter sich gehabten Wald gezogen. Ihr Commendant [Johann Hoffmann] aber und andere Officiers seynd wieder solcher Gestalten auff ihren Pferden mit der wenig gehabten Reutterey durchgegangen und haben ihre so genante Haupt-Armee im Stich gelassen.
Daraufhin hat „der verbitterte Soldat sowohl zu Pferd als zu Fuß alsogleich umringet und in den Wäldern und Feldern auffgesuchet alles was sich nur blicken lassen, gegen geringen Widerstand solcher Gestalten nidergemacht, daß der wenigere Theil darvon kommen.“ Einige der flüchtenden Kämpfer haben sich in nahegelegenen Bauernhäusern verschanzt und „sonderbahr auß einem auff die Kayserlichen mit kleinem Gewehr starck Feuer gegeben. Dahero diese Häuser sammentlich in Brand gestecket und, was nicht darinn verbrennen sondern entlauffen wollte, ohne Unterschied niedergemacht“. Das Gemetzel dauerte von etwa 11.30 Uhr bis 16 Uhr. Diese Niederlage war „der an dem hl. Christ-Tag bey München weit überlegen. Und ist gewiß, daß der wenigere Theil von diesem rebellischen Volck darvon gekommen. Von 4000 Todten werden wenig abgehen“. „Die Felder, Wissen und Aecker aber von dem Marckt Aidenbach auf fast eine gantze Stunde weit mit Todten überstreuet seynd.“ Gefangene wurden „fast gar keine“ gemacht, als Beute ließen die Bayern vier Geschütze, darunter zwei Augsburgische, einen Munitionswaagen und einen Waagen mit „Schantz-Gezeug“ zurück. Die zu spät kommende Truppe aus Vilshofen kehrte am 9.1. unverrichteter Dinge wieder dorthin zurück. Nach einem Ruhetag brachen auch die Soldaten Kriechbaums in Richtung Passau auf. Dort angekommen „ist der Herr General auff den Maria Hülff-Berg geritten, um daselbst seine Andacht zu verrichten.“ Das Mariahilfer Gnadenbild entwickelte sich nach der Befreiung Wiens von der türkischen Belagerung im Jahr 1683 zum ersten Wallfahrtsort der Habsburger. Kaiser Leopold I. hatte zuvor mit seiner Familie in Passau Zuflucht gefunden. Das Kaiserpaar betete täglich vor dem Gnadenbild um die Errettung aus der Türkengefahr. Man kann wohl nicht davon ausgehen, dass sich Kriechbaum vor dem Bild Mariens für seine grausamen Taten in Sendling und Aidenbach entschuldigte. Wahrscheinlicher ist es, dass er sich für die Hilfe Gottes bei seinen Siegen bedankte. Ein perverses Gottesverständnis, das an die Gesinnung heutiger „Gotteskrieger“ erinnert. Kriechbaum wütete in den folgenden Jahren mit vergleichbarer Grausamkeit gegen aufständische Siebenbürger. Er starb im Jahr 1710 mit erst 43 Jahren und ohne einen Erben zu hinterlassen in Hermannstadt (Sibiu, Rumänien).
Einem Großteil der bayerischen Gefallenen blieb ein Begräbnis in der Heimatgemeinde verwehrt. Sie wurden in Massengräbern u.a. am Handlberg, Kleeberg und am Reschenberg verscharrt. Der Habsburg-freundliche Pfarrer von Beutelsbach berichtet von „4 Grueben“ auf dem Kleeberg, „darinnen ligen begraben 318. Auf dem Reschenberg aber sind zu sehen 6, worinnen sich 600 und bey 40 Todte befinden.“ Die Denkmäler auf den genannten Bergen erinnern noch heute an die abscheulichen Taten von damals. Leider haben die Wittelsbacher nicht aus der Geschichte gelernt: Während des „Tiroler Volksaufstands“ gegen die bayrisch-französische Belagerung im Jahr 1809 ging man mit ähnlicher Brutalität gegen die freiheitsliebende Tiroler Landbevölkerung vor. Die legendären bayerischen Helden Resch vom Dobl und Schmied von Kochl hätten sich ohne die Machenschaften der Obrigkeiten vermutlich bestens mit dem Tiroler Andreas Hofer verstanden.
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