Katholischer Theologe, geboren zu Teisbach in Niederbaiern am 7. März 1748, † am 10. April 1797. Er trat 1767 in das Cistercienser-Kloster Aldersbach in Niederbaiern ein und legte 1768 die Ordensgelübde ab. Die höheren Studien absolvirte er zum Theil im Kloster und vollendete sie an der Universität Ingolstadt; später war er als Professor der Philosophie und Mathematik in seinem Kloster thätig, bis er im Jahre 1781 als Professor der Dogmatik, Patrologie und theologischen Litteraturgeschichte nach Ingolstadt berufen wurde, an Stelle Sailer's, der 1780—81 diesen zweiten Lehrstuhl der Dogmatik eingenommen hatte. Zugleich verlieh ihm die theologische Facultät die theologische Doctorwürde; er erhielt auch den Titel eines kurfürstlichen geistlichen Raths. Im Studienjahre 1787-88 war er Rector der Universität. Nach einer dreizehnjährigen ausgezeichneten Lehrthätigkeit an dieser Universität legte er im Jahre 1794 seine Professur nieder und kehrte in sein Kloster zurück, in welchem er auch starb.
Wiest begann seine litterarische Thätigkeit in der Zeit seiner philosophischen Lehrthätigkeit im Kloster mit zwei Schriften philosophischen Inhalts: „Initia philosophiae purioris cum positionibus mathematicis“ (Ratisbonae 1776); und: „Positiones theoretico-practicae ex philosophia et mathesi“ (Ratisbonae 1779). Den Anfang seines theologischen Lehramts bezeichnen die beiden kleineren Schriften: „Positiones ex theologia dogmatica“ (Eustadii 1781); und: „Dissertatio de moderatione theologica“ (Eustadii 1782). Zugleich begann er aber auch mit der Ausarbeitung seines großen dogmatischen Hauptwerkes, der in den Jahren 1782—89 in sechs Bänden veröffentlichten „Institutiones theologicae“. (Tomus I: Praecognita in theologiam revelatam, quae complectuntur specimen encyolopaediae ac methodologiae theologicae (Eustadii 1782). Tomus II und III: Theologia dogmatica generalis, oder Demonstratio religionis christianae und Demonstratio religionis catholicae (Eustadii 1786). Tomus IV—VI: Theologia dogmatica specialis, und zwar: Tomus IV: Demonstratio dogmatum catholicorum in specie de Deo in se considerato (Ingolstadii 1788); Tomus V und VI: Demonstratio dogmatum catholicorum in specie de Deo salutis nostrae auctore (Ingolstadii 1789). Die drei ersten Bände gab W. selbst noch in einer „editio secunda aucta et emendata“ heraus, Ingolstadt 1788—1790. Eine inhaltlich unveränderte 2. Auflage der drei folgenden Bände ließ der Verleger 1797—1801 folgen, ebenso 1801 noch eine 3. Auflage des 1. Bandes).
Dieses Werk sichert seinem Verfasser einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der katholischen Dogmatik. Seine Bedeutung liegt in dem großen Reichthum an positivem und historischem Material, während über dem Bestreben, die Theologie von überflüssigen scholastischen Fragen zu erleichtern und dadurch zu vereinfachen, die speculative Seite überhaupt allerdings etwas zu kurz kommt; aber der Mangel an speculativer Tiefe wird bei Wiest, wie Karl Werner mit Recht urtheilt, „durch eine reiche Fülle litterarhistorischer Erudition aufgewogen, die sein Werk für jeden späteren Leser zu einer Fundgrube von Belehrungen, namentlich über Leistungen auf dem Gebiete der damaligen Theologie macht“. Die einzelnen Unterabtheilungen zerfallen überall in eine Sectio historico-litteraria, eine Sectio dogmatica (die positive Darstellung), und eine Sectio polemica, wozu in der speciellen Dogmatik noch jeweils eine Sectio practica kommt, über die moralische Anwendung der betreffenden dogmatischen Lehre. Im Interesse der Studirenden und auf mehrseitiges Verlangen verfaßte Wiest nach dem größeren Werk die kürzer gefaßten „Institutiones theologiae dogmaticae in usum academicum“ in 2 Bänden (I: Theologia dogmatica generalis; II: Theologia dogmatica specialis), (Ingolstadt 1791), welche noch zweimal neu herausgegeben wurden (Landshut 1817 und 1825). Neben der Arbeit an den Institutiones verfaßte Wiest in denselben Jahren einige kleinere akademische Schriften: „De iustitia Dei punitiva contra quaedam asserta cl. Eberhardi et Steinbartii aliorumque diss.“ (Ingolstadii 1787); „Oratio de necessario scientiae et pietatis nexu“ (Ingolstadii 1788); und die vier Programme „de Wolfgango Mario Abbate Alderspacensi“ (Ingolstadii 1788, 89, 92). Sodann führte Wiest den in der 1. Auflage des 1. Bandes der Institutiones enthaltenen kurzen Abriß der theologischen Litteraturgeschichte (die 2. Auflage enthält denselben mit Rücksicht auf das vorbereitete besondere Werk nicht mehr) in einem besonderen Lehrbuch weiter aus: „Introductio in historiam theologiae revelatae potissimum catholicae“ (Ingolstadii 1794). Auch dieses Werk zeigt in hervorragender Weise die litterarhistorische Gelehrsamkeit seines Verfassers und behält dadurch, wenigstens was die Darstellung der theologischen Litteratur des 16.—18. Jahrhunderts betrifft, einen bleibenden Werth. Sein letztes Werk, mit dem er sich vom Lehramt und von seinen akademischen Zuhörern verabschiedete (die Vorrede ist datirt: Scripsi Ingolstadii ipsa die discessus mei XVI. Cal. Decembris 1794), sind die „Institutiones Patrologiae in usum academicum“ (Ingolstadii 1795) [im Jahr 1900 von Friedrich Lauchert herausgegegen, siehe Bibliographiedatenbank].
Durch den streng positiven Charakter seiner Theologie und durch seine ausgedehnte und solide Gelehrsamkeit ist Stephan Wiest jedenfalls einer der bedeutendsten katholischen Theologen Deutschlands im 18. Jahrhundert.
Quelle: Jakob Lauchert: "Wiest, Stephan", in: Allgemeine Deutsche Biographie 42 (1897), 440-442. Online: www.deutsche-biographie.de
Ergänzungen: Wiests Vater Markus war Brunnmeister, Kastenstreicher und Hofwirt in der Herrschaft Teisbach (bei Dingolfing). "Hand in Hand mit der Kritik an der Scholaslik und der Öffnung gegenüber Christian Wolff, Alexander Golllieb Baumgarten u.a. trat in diesen Werken die Hinwendung zur historischen Theologie im Sinne der 'loci theologici' im Rahmen einer 'theologia positiva' hinzu. Zur mathematischen Methode trat die historische. Im 2. Teil der 'Institutiones' von 1782 legte er eine Geschichte der Theol. vor, die er in der 'Inroductio lineraria' von 1794 weiterführte, nach Mattbias Joseph Scheeben die einzige zusammenfassende Darstellung der Theologiegeschichte jener Zeit, wobei er chronologisch verfuhr und sich mit dem eigenen Urteil zurückhielt. Bei universeller Belesenheit bewies Wiest dennoch systematische Kraft und spekulatives Bemühen, so dass sein Werk bei aller historischen Ausrichtung zu einer Symbiose von geschichtlich und systematisch orientierter Theologie führte. Während Wiest für Philosophie und Religionsgeschichte überwiegend protestantisehe Autoren heranzog, gab er in Fragen des theoligischen Systems und bei der Darlegung der Geschichte der Theologie katholischen Theologen den Vorzug. Nicht immer nahm er in den Augen konservativer Kreise entschieden genug Stellung, was zu Unrecht zu Zweifeln an seiner Rechtgläubigkeit führte. Der ihm vorgeworfene Eklektizismus in der Auswahl der angeführten Autoren gründete letztlich in seinem inhaltlichen, nicht primär historischen Anliegen. In der Betonung der historischen Dimension und der einschlägigen Disziplinen entsprach er den Bemühungen um eine Reform des Studiums an der Universität lngolstadt. Auseinandersetzungen mit dem Exjesuiten Benedikt Stattler konnte er sich ebensowenig entziehen wie den Angriffen des Benediktiners Wolfgang Frölich. Wiest, ein tiefgläubiger und irenischem Denken verpflichteter Vertreter der gemüßigten Aufklürung, zählt unstreitig zu den herausragendsten Theologen der beiden letzten Jahrzehnte der Universität Ingolstadt. (Vgl. Hofmann, Siegfried: "Wiest, Stephan", in: Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München, 480-481, siehe Vorbemerkungen)
Weiterführende Literatur ist in der Bibliographiedatenbank zu finden.
Die Werke Wiests stehen zum Teil in der Digitalisatsammlung zur Verfügung (Seitenende, bei den Druckwerken).